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Einheit aus Vielfalt oder: Vom Solo zur Sinfonie.

Haben Sie schon einmal einen 4fachen Grammy Gewinner um ein Interview gebeten und die Antwort erhalten: “Natürlich, machen wir, wann gehts los?”

Christian Gansch ist Business Querdenker, Autor, international erfolgreicher Dirigent, Manager, Produzent und mehrfacher Grammy Preisträger.

In einem spannenden Interview spricht er über Management, Frust, Neid, Motivation, Führung, persönliche Pläne und rechnet schonungslos mit Zwischenurteilsneurotikern ab:

Über einen authentischen Menschen, der davon überzeugt ist, dass ‘neue Ideen Raum und Zeit brauchen, um sich entwickeln zu können‘. Unbedingt weiterlesen…

Homepage: www.gansch.de
Christian Gansch erscheint im Eichborn Verlag

Christian Gansch im Interview

Ihr Buch „Vom Solo zur Sinfonie – Was Unternehmen von Orchestern lernen können“ ist seit Juli im Handel. Ohne etwas vom Inhalt vorwegzunehmen: Was kann ein Unternehmen wirklich von einem Orchester lernen?

Ein Orchester ist ein Paradebeispiel dafür, dass 100 individualistische Spitzenkräfte effizient und erfolgreich zusammenarbeiten können, wenn es ein interaktives, lebendiges Wechselspiel zwischen allen Beteiligten, die ein gemeinsames Ziel definiert haben, gibt.

Kennen Sie konkrete Beispiele, für Unternehmen (oder Branchen allgemein), die tatsächlich Ideen oder Angebotselemente von Orchestern übernommen haben?

Es gibt inzwischen Unternehmen, in denen moderne und wertfreiere Kommunikationsstrukturen eingeführt werden. Letztlich sind Orchester beispielhaft in Bezug auf Kommunikations- und Veränderungsprozesse, die nicht nur innerhalb einer Instrumentengruppe, sondern kontinuierlich abteilungsübergreifend funktionieren müssen.

In der Wirtschaft spricht man von Qualitätsmanagement. Gibt es das auch bei Orchestern? Welche Parallelen gibt es?

Das, was das Publikum im Konzert zu erkennen glaubt, nämlich einen Dirigenten, der den Einsatz gibt und vor ihm eine gleichgeschaltete Masse, die ihm willenlos folgt, hat mit der Orchesterwirklichkeit überhaupt nichts zu tun. Bei der täglichen Probenarbeit ringen Dirigent und Musiker, insbesondere auch die zahlreichen Top-Führungskräfte des Orchesters um höchste Qualität. Sie wissen, jegliche abgespulte Routine wäre das Ende von Innovation, das Publikum würde sich langweilen.

Wie gehen Sie mit Menschen um, die Ideen im Keim ersticken wollen?

Ich halte wenig davon, dass Führungskräfte glauben sich auferlegen zu müssen, stets alle Mitarbeiter „abzuholen“, was meistens einem gesellschaftlichen Druck entspringt. Moral ist, wenn man sich um die engagierten Mitarbeiter kümmert und nicht um einige wenige Ignoranten, die es ja immer und überall geben wird. Klar und deutlich auf die Motivierten zu setzen, entzieht den berufsmäßigen Blockierern langfristig die Machtbasis. Andernfalls bekommen die Spitzenkräfte schnell den burn out, oder sie wechseln in ein anderes Unternehmen.

Gab es dazu ein prägendes Beispiel?

Tagtäglich erlebt man als Dirigent, dass eine Minderheit eine neue Idee verhindern will, aus welchen Gründen auch immer. Aber damit darf man sich nicht aufhalten. Wenn man aus falsch verstandenem „Gutmenschentum“ zulässt, dass sich die Ignoranten zum Dreh- und Angelpunkt von Arbeitsprozessen stilisieren, werden die Talentierten und Motivierten, die ja die Stütze eines Unternehmens bilden, an den Rand gedrängt.

Sehr hart ins Gericht gehen Sie mit ‚Zwischenurteilsneurotikern’, die schon am ersten Tag der Umsetzung Erfolge sehen wollen.

Manche Musiker glauben, das Dirigenten-Konzept einer einstündigen Sinfonie bereits nach zwei Probenminuten abschließend und zweifelsfrei beurteilen zu können, nicht anders wie bei neuen Strategien in Unternehmen. Diese Einstellung ist schlicht destruktiv. Neue Ideen brauchen Raum und Zeit, um sich entwickeln zu können. Permanente „Voraburteile“ mitten im Arbeitsprozess sind inzwischen zwar ein beliebtes Gesellschaftsspiel, aber sie verhindern bereits im Ansatz, dass überhaupt Neues entstehen kann. Diese sollten übrigens nicht mit einer selbstverständlichen kontinuierlich nötigen Qualitätskontrolle verwechselt werden.

Wie behandeln Sie Vorschläge, die aus der Gruppe heraus kommen? Ich kann mir vorstellen, nicht immer wollen alle nach Ihrem Taktstock tanzen und in einem Orchester geht es ebenso wenig demokratisch zu wie in Unternehmen.

Die Mona Lisa trägt auch die Handschrift eines einzigen Malers und wurde nicht von 100 Spezialisten, die letztlich alle eine andere Zielvorstellung gehabt hätten, umgesetzt. Auch im Orchester gilt die Vision des Dirigenten und die Musiker sind sich dessen bewusst, dass der Kunde, also der Zuhörer ein Recht auf eine klare Botschaft hat, und er wäre nur verwirrt, wenn ihm 100 Musikerinnen und Musiker gleichzeitig ihre ganz persönliche Vision einer Beethoven-Sinfonie darbieten würden. Es wäre dennoch völlig falsch, daraus zu schließen, dass Führen deswegen eine Einbahnstraße ist. Auch als Dirigent muss ich letztlich die Realitäten eines Orchesters in mein Konzept einbauen: ich kann nicht von einem Trompeter, der auf seine Art einen scharfen Klang produziert, einen samtweichen Klang bekommen, oder aus einem italienischen Orchester ein deutsches machen.

Das klingt nach Spannungsfeldern wie es sie in jedem Unternehmen gibt.

Allein schon aufgrund der räumlichen Enge, in der Musiker tagtäglich arbeiten und die mich an ein gruppendynamisches Seminar erinnert, sind Spannungen programmiert. Andererseits kann auch die angenehme Möglichkeit, sich in sein Büro zurückzuziehen und hinter sich die Türe zu schließen dazu führen, dass drängende Konflikte lange unter den Tisch gekehrt werden.

Ist ein Dirigent ein Diktator?

In früheren Zeiten bisweilen ja, aber inzwischen würde das kein Orchester mehr akzeptieren. Erfolgreich miteinander Musizieren ist ein kontinuierliches und vor allem abteilungsübergreifendes Wechselspiel aller Kräfte. Aber nicht nur die einzelnen Musiker bzw. Instrumentengruppen müssen permanent auf die anderen Gruppen und Abteilungen hören und wach reagieren. Auch der Dirigent hört auf die Musiker, er begleitet das Oboensolo, oder das Solo des Cellos und organisiert gleichzeitig, dass auch entfernt sitzende Musiker, die ein hervor tretendes Soloinstrument kaum hören, dieses präzise begleiten können.

Aus einer jährlichen Gallup Studie geht hervor, dass rund 2/3 der Mitarbeiter deutscher Unternehmen Dienst nach Vorschrift machen, 1/5 demotiviert ist oder gar innerlich gekündigt hat und lediglich 13% motiviert sind. Lassen sich diese Zahlen auch auf Orchester übertragen?

Nicht zuletzt aufgrund der Enge entsteht im Orchester aus Dienst nach Vorschrift sogleich ein kollektiv erlebter trostloser Stillstand. Und es ist wohl ein Segen, wie ich glaube, dass man diesen nicht mit privaten Aktivitäten und Ablenkungen hinter verschlossener Tür kaschieren kann. Daher ist es nicht überraschend: sobald Musiker spüren, was der Dirigent will und wo er mit ihnen hin will, wird die Mehrheit mitziehen. Es ist übrigens nicht immer die berufliche Situation dafür verantwortlich, wenn Menschen innerlich gekündigt haben. Man muss Unterschiede in Bezug auf Talent, Motivation und Energie akzeptieren.

Gibt es in einem Orchester Frust oder Neid? Wie äußert sich das?

Kaum ein Musiker, der seit 20 Jahren im Orchester spielt, wird sich direkt mit einer Topkraft messen wollen, die in technischer Bestform von der Hochschule kommt und sich gerade im Orchesterprobespiel gegen 30 Konkurrenten aus ganz Europa durchgesetzt hat. Daher sind die Führungskräfte oft sehr jung und das schafft Neid. Aber es gibt dafür einen gewissen Ausgleich: Die technischen Umsetzungsstrategien einer jungen Führungskraft sind anfangs eher auf ihr eigenes Können und nicht auf die Gruppe ausgerichtet. Da braucht sie dann den Rat erfahrener Kollegen, die wissen, was innerhalb einer Abteilung von 16 Geigerinnen und Geigern am besten funktioniert. Allerdings muss die junge Führungskraft unterscheiden lernen, welcher Rat dem Neid entspringt, und welcher echte Unerstützung bedeutet.

Haben Sie ein Standardrezept um Motivation aufzubauen oder hängt das von den Einzelfällen ab?

Motivation lässt sich weder verordnen noch nach einem Rezept hervorzaubern. Es gibt nur eine Richtschnur: Wenn Musiker spüren, dass ich mich im Vorfeld ehrlich um ein klares Konzept bemüht habe, wenn sie merken, dass ich nicht auf Selbstdarstellung oder einen billigen Aktionismus setze, sondern mich mit aller Kraft auf die Inhalte konzentriere, dann darf ich darauf vertrauen, dass sich die Motivation bei ihnen einstellen wird.

Alle großen Unternehmen arbeiten an Konzepten für Wissensmanagementsysteme und stoßen dabei immer wieder an Grenzen. Sie haben in Ihrer langen Karriere mit einer Vielzahl berühmter Orchester gearbeitet. Als Dirigent hat man hier doch so quasi die Funktion eines zentralen Wissensträgers. Ist dieser Wissenstransfer überhaupt gewünscht und wie funktioniert er?

Ich war Geiger und weiß genau, wo bei diesem Instrument die Probleme liegen. Aber es ist tabu, als Dirigent den Geigern Ratschläge beispielsweise in Bezug auf Fingertechniken zu geben, denn dafür werden ja die Führungskräfte im Orchester bezahlt. Spitzenkräfte haben das Recht auf ihre individuellen Techniken und Strategien, wenn sie diese dann in den Dienst einer Sache stellen. Als Wissensträger weiß ich vor allem, dass jedes Orchester, jeder Mensch anders funktioniert und dass ich selbst dafür wach, offen und neugierig bleiben muss, auch wenn das nicht immer einfach ist. Standards reduzieren, ja verleugnen eher die menschliche Natur.

Wie lange dauert es, bis aus den vielen Musikern EIN ‚TEAM’ wird?

Jedes professionelle Orchester ist prinzipiell eingespielt. Aber jeder Dirigent setzt andere Prioritäten und dann entscheidet sich in den interaktiven Probenprozessen, ob sich schnell ein gegenseitiges Verständnis entwickelt. Vor dem ersten Konzert hat man üblicherweise vier Proben plus Generalprobe zu Verfügung, d.h. Zeitdruck ist Realität. Manchmal kann es sogleich beglückende Resultate geben, oder es kommt erst das zweite oder dritte Konzert dem Idealziel nahe.

Spürt man dabei die Handschrift der Vorgänger?

Weniger die der unmittelbaren Vorgänger, als die eines prägenden Chefdirigenten.

Wie wurden Sie überhaupt Dirigent?

Obwohl ich Violine studiert habe, fühlte ich mich schon ab meinem 12. Lebensjahr zu den gewaltigen, faszinierenden orchestralen Klangfarben hingezogen. So wie viele Dirigenten komme ich aus dem Orchester: ich war von meinem zwanzigsten Lebensjahr an neun Jahre führendes Mitglied der Münchner Philharmoniker. Das bot mir die Chance, mit einigen wunderbaren Dirigenten dieser Zeit auch privat zu arbeiten.

Und wie zum Managementberater? (Falls dies der richtige Ausdruck ist.)

Das ist eine logische Folge meiner ungewöhnlichen Biographie: denn nach meiner Zeit bei den Münchner Philharmonikern wechselte ich völlig die Perspektive und ging für 13 Jahre in die Musikindustrie. Dort war ich als Produzent mitten im Interessensgeflecht von Herstellung, Vertrieb, Marketing, Controlling, Rechtsabteilung und einzelnen Ländermärkten.

Wie verteilen sich die beiden Berufe zeitlich?

Manchmal habe ich reine Dirigierphasen, wenn ich dann wieder zuhause bin, dominiert die Berater- und Vortragstätigkeit.

Bleibt da Zeit für Familie oder Hobbies?

Durchaus, wenn man beispielsweise das Fernsehen oder gewisse gesellschaftliche Events einfach ganz weglässt. Nicht zu glauben, wie viel mehr Zeit man dann sogleich hat.

Sehen Sie sich als Querdenkern und falls ja, was bedeutet Querdenken für Sie?

Ich sehe mich eher als jemand, der die täglich wechselnden Moden, Schlagworte und Zeitgeistströmungen, also diesen zum Standard gewordenen Relativismus mit äußerster Skepsis betrachtet, weil dabei das Individuum zu kurz kommt. Selbst Wertediskussionen haben inzwischen einen zeitgeistigen und damit beliebigen Anstrich. Menschen sind nicht in ein Schema zu pressen, unterschiedliche Charaktere müssen nicht gleichgeschaltet werden, damit sie eine Einheit bilden. Einheit kann auch aus menschlicher Vielfältigkeit entstehen, wie ein Orchester beweist.

Was war die größte Herausforderung der Sie in Ihrer Karriere gegenübergestanden sind?

Jedes Konzert war und ist stets eine enorme Herausforderung. Ob ich nun mit 18 Jahren im Wiener Musikvereinssaal oder in der New Yorker Carnegie Hall spielte, oder ob ich jetzt einen dreistündigen Figaro dirigiere, das wird niemals zur Routine werden, Lampenfieber inklusive.

Gab es auch Flopps und Pannen an die sich gerne (bzw. nicht so gerne?) erinnern?

Einmal dirigierte ich Wagner im Konzert, plötzlich begann die Sängerin mysteriöserweise um eineinhalb Takte zu früh. Die Musiker, die gerade spielten, konnte ich noch abfangen, aber nicht alle, die seit 100 Takten nur auf ihren späteren Einsatz warteten, ließen sich von mir dazu bewegen, ebenfalls eineinhalb Takte früher anzufangen. Die nächsten Takte waren schweißtreibend, bis ich intuitiv beim Beginn der nächsten Phrase eine extrem deutliche Markierung setzte, die alle wieder zusammen brachte. Mein Blutdruck war danach noch 10 Minuten auf 200. Komischerweise hatte weder Sängerin noch Publikum das mitbekommen.

Was haben Sie daraus mitgenommen?

Man muss wohl stets mit allem rechnen. Oder wie man so schön auf österreichisch sagt: Nix ist fix!

Wenn Sie heute 3 Wünsche frei hätten (sich 97 weitere zu wünschen gilt nicht), welche wären das?

Die Gesundheit meine Kinder liegt mir am Herzen. Gerne würde ich einmal die 8. Symphonie von Bruckner mit den Wiener Philharmonikern dirigieren. Schön wär’s, öfter in meinem Lieblingshotel auf dem Balkon zu sitzen und aufs Meer hinaus zu schauen.

Wir es Ihr Buch auch in anderen Sprachen geben?

Das wird sich zeigen. Aber jetzt erscheint zuerst einmal ein deutsches Hörbuch von meinem Buch, das ich selbst sprechen werde.

Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Eigentlich wie jetzt: Dirigieren, Bücher schreiben, Vorträge und Seminare halten.

Hannes Treichl

Ahoi, ich bin Hannes und das ist mein Wohnzimmer. In diesem Blog findest du persönliche Gedanken, Geschichten und Inspirationen für Wirtschaft, Beruf und Leben – weil alles ohnehin untrennbar miteinander verbunden ist. ICH | BLOG | PODCASTS | RAUCHZEICHEN.LIVE